Wort, Gesang, Klang
Source: Germania, nr3, p.16-17, 1972
Author: F. Fricke
Wort, Gesang, Klang
POPOL VUH
POPOL VUH "ist das heilige Buch der Quiche-Indianer. “Popol" bedeutet etwa, “Vereinigung, Leute, Gefäß". “Vuh" ist ein Göttername, ein magisches Wort; es drückt aus: herabstoßende Fruchtbarkeit, Licht, Sonne, brennende Eichel, Ihre 2. LP ist gerade erschienen.
Wort, Gesang, Klang… als Rückweg zu Gott, als heilkraft, als Verführung und als Gewalt. Von Florian Fricke
... als Rückweg zu Gott
In der Dreiprinzipienarchitektur der tibetischen Kosmogonie, - bei der die höchste Stufe die achte ist, da die Null als Repräsentanz des Vorweltlichen, Ungeborenen mitgezählt wird - wird der Gehörsinn als eine Manifestation der achten Stufe, der Stufe des geistigen Prinzips (Chi oder Luft) verstanden. Zu dieser achten, "göttlichen" Stufe, Menschlichem gewöhnlich unerreichbar, erhebt sich der Mensch mit Hilfe des Wortes, des Gesanges oder der Hingabe an den inneren Klang, an Gottes Ohr, OM.
Das Wort, das ist der Machtaspekt. Der Gesang, das ist der Liebesaspekt, Hingabe an den inneren Klang, das ist der direkte Weg zu Gott.
Das Ohr ist ein weibliches Organ "in den Ohren wohnen die Göttinnen der Raumrichtungen, der Walterinnen des Elementes Raum, das in der Ohrmuschel des Ohres sich als Schall einfängt, " (Avur-veda 111, 8). Das Ohr ist der Mutterschoß dieses Schalls, der eindringt und alsbald den "Geist färbt'', wie es in einem indischen Sprichwort heißt. So über Wort, Gesang, Klang zeugen den Einfluß auf die Stimmung des Menschen aus, sie vermögen zu verwandeln. In der vollkommensten Weise, dem religiösen Ritual zugeordnet, führen Wort, Gesang, Klang den Menschen in die Nähe Gottes.
… als Heilkraft
Ein Mysterium, dem wir uns langsam, noch im Dunkeln tappend, heute wieder nähern: die psychische Heilkraft von Wort, Gesang, Klang - früheren Jahrhunderten wohl bekannt. Ein Beispiel: Der Geist aber des Herrn wich von Saul und ein böser Geist vorn Herrn machte ihn unruhig; da sprachen die Knechte Sauls zu ihm: Siehe, ein böser Geist von Gott macht dich sehr unruhig; unser Herr sage seinen Knechten, die vor ihm stehen, daß sie einen Mann suchen, der auf der Harfe wohl spielen könne, auf daß, wenn der böse Geist Gottes über dich kommt, er rnit seiner Hand spielt, daß es besser mit dir werde." (Buch Samuel 16, 14) Wie bekannt, wurde der spätere König David zu diesem Zweck geholt. Wie erfolgreich seine Bemühungen waren, erzählt das Ende des 15. Kapitels des Buches Samuel (diesmal nicht wie oben die lutherische sondern die herrliche Übersetzung von Martin Buber): "Und so wars nun: wann das Gottesgeisten auf Schaul war, nahm David die Leier und spielte mit seiner Hand, da wurde es Schaul wie-der geistgeräumig, ihm wurde wohl, das böse Geisten wich von ihm hinweg.”
Dies wäre nun die vornehmste Wirkungsweise der Musik: als heilende Kraft. Es ist keine Utopie mehr, sich vorzustellen, daß die Zusammenhänge zwischen Tonhöhe, Intervall, Klangstruktur, Rhythmus und Kosmos, Mensch andererseits schon innerhalb der nächsten zehn, zwanzig Jahre im Westen strukturell erforscht sein könnte. Indien besitzt seit Jahrtausenden einen gewaltigen Fundus an Analogien zwischen Musik und Natur, Musik und menschlichem Körper, Musik und unserem Planetensystem; es besitzt in der formalen Gestaltung zum Beispiel einer Raga den dramaturgischen Schlüssel zu dem Mysterium des Eindringens der Musik in den Geist. Wenn es uns gelingen sollte, die neu zu findenden Erkenntnisse über Musik, Klang überdies auch innerlich zu erleben - das Morgenland hat in diesem Punkt eine unendlich lange und großartige Kultur, wir stehen noch davor - dann wären wir wieder in der Lage, Musik heilend anzuwenden.
Für Musiker eine kleine, interessante Aufstellung (nach der indischen modalen Musiklehre):
Grundton = Seele
Sekunde = Kopf
Terz = Arme
Quart = Brust
Quinte = Hals
Sext = Hüften
Sept = Füße
Versucht man beim Spielen sich gleichzeitig mit dem angeschlagenen Ton auch den entsprechenden Körperteil vorzustellen, so gerät man sehr bald - vorausgesetzt, die Musik ist rein und tonal - in eine enorme Schwingung und körperliche Identität mit dem Ton, was diesem eine große Überzeugungkraft verleiht.
...als Verführung
Die "betörende" Wirkungsweise von Wort, Gesang, Klang, das Sinnenverwirrende des Schalls kennen wir, auch über das Beispiel des Rattenfängers von Hameln hinaus, nur allzu gut. Wir sind umgeben davon: Wort als Verführung, Gesang als Verführung - seit einiger Zeit, durch das Aufkommen der Elektronik - äußerer Klang als Verführung. Ist es nicht abscheulich, wie es ausgerechnet die Gier des Menschen verstanden hat, zu ihrer eigenen Befriedigung instinktiv zu den Geheimnissen des Schalls', zur Suggestivkraft von Wort, Gesang, Klang vorzudringen? Diese Gier, gigantisch repräsentiert durch das 'kapitalistische System, in ihrer widerlichsten Erscheinung der Konsumwerbung: hier wird Wort und Musik zum Zweck der Verführung mit dem Bild verschmolzen, oft in diabolisch zynischer Form. Nahrungsmittel, die, wie man heute weiß zu einem früheren Tod führen, werden angeboten mit "beschwingender" Musik. Bei der Werbung für Tabakmittel oder Chemiedrogen sorgt Musik ebenfalls für frohlockende Stimmung. Musik wird da als Schleier vor der unterscheidenden Vernunft aufgezogen. Es ist dies tödliche Verführung, eine Mißachtung des Menschen, (Da Geruch weniger nachweisbar, weniger laut, heimlicher ist, ist die Industrie dazu übergegangen die Beeinflussung des potentiellen Konsumenten mittels Duft vorzubereiten. Die Osmologie, "Wissenschaft der Düfte'", ist auch weit besser in unsere Zeit hineingekommen, als das Wissen um die psychische Kraft des Wortes, Gesangs, Klanges.
Daß ein Großteil der amerikanischen, englischen Popmusik ebenfalls in diesem finsteren Bereich, wo Musik als Verführung und im Zusammenhang mit Verführung auftritt, zu suchen sein könnte, - dies behaupten wir nicht, dies bedenken wir. Denn allein die Lautstärke einer Gruppe wie Deep Purple ist vernichtend; sie bestätigt die Aggression da, wo sie gerade schon schwinden will. In einer neuen Generation. Bei uns.
...und als Gewalt
Altamont, Rolling Stories. Jericho: wer an der Glaubwürdigkeit der im Buch Josua beschriebenen Einnahme Jerichos zweifelt, der mag sich von neuem in das 6. Kapitel dieses Buches vertiefen und ein wahrhaft gigantisches, multornediales Gewaltritual vorfinden, bei dem nicht der Schall der sieben Halbjahresposaunen es war , der, wie man allgemein meint, die Mauern Jerichos erschütterte, sondern die Kraft des ersten Tones aus dem Mund des Volkes, dem Josua vor den Mauern Jerichos ein siebentägiges Schweigen befohlen hatte; man kann sich vorstellen, mit welch psychi scher Kraft, einer Entladung gleich, hier Schall benutzt wurde und wohl auch gewirkt haben muß.
Diese Sammlung von bunten Beispielen ist nicht zum Selbstzweck erfolgt, sie führt zu folgender Schlußbemerkung: Wenn wir erfahren haben, daß hinter dem Medium Wort, der Musik sich ein Bereich unvorstellbarer Kraft und - im negativen Fall - Gewalt verbirgt, dann zwingt und dies, dieses Medium mit einer neuen Ethik in Zusammenhang zu bringen. Wenn wir einmal eingesehen haben, daß man mit Wort, Gesang, Klang töten kann und getötet werden kann - wieso entscheiden wir uns dann nicht für äußerste Vorsicht bei dem, was wir von uns geben, wenn wir uns schon nicht eher dazu bewegen lassen, nur Wohltuendes zur gegenseitigen Förderung über die Lippen kom-men zu lassen. Der ägyptische Geschäftsmann der Pharaonenzeit, vertraut mit der Magie des Wortes, begrüßte seinen Handelspartner vor jedem anderen Wort stets folgendermaßen. Er sagte: "Deine Unternehmungen gedeihen, sie gedeihen, sie gedeihen," Der andere erwiderte den gleichen Satz. Ja, das ist es, was wir meinen, deshalb die vielen Zeilen. Was für das Sprechen gilt, sollte uns für die Musik tausendmal gelten: Laßt uns Musik machen, die uns wohltuend bedenkt, die uns von dem AUSSEN nach INNEN führt. Dort laßt uns gemeinsam sein. Friede und Freude.
POPOL VUH besteht aus
Holger Trülzsch - percussion, drums
Florian Fricke - Moog-Synthesizer, organ, e-piano
Frank Fiedler - Moog-Synthesizer - Mixdown
POPOL VUH
Affenstunde, Liberty LBS 83 4601
In den Gärten Pharaos Pilz, BASF
This article was also inclosed on the compilation album 'Kosmische Musik' (1973).
An english translation is available here: www.eurock.com