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Source: Pop, nr.5, 1973
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Popol Vuh - Musik als Form des Gebets

Tiefes religiöses Empfinden und innere Ruhe musikalisch auszudrücken, ist das Ziel von Florian Fricke. Nach Musikhochschul-Studium und Mitwirkung bei einer Free-Gruppe kam Florian Fricke durch seine kurze Zusammenarbeit mit dem Avantgarde-Musiker und Leiter der Münchner Kammeroper Eberhard Schoener in den Bannkreis des Moog-Synthesizers. Fasziniert von den Möglichkeiten elektronischer Musik gründete Fricke wenig später zusammen mit Frank Fiedler und Holger Trülzsch die experimentelle Formation Popol Vuh. Mit Florian Frickes eigener Moog-Elektronik ging Popol Vuh mit dem ersten Album ‘Affenstunde’ auf eine mystische Reise durch eine gurgelnd-fliessende, fremdartige Tonwelt. Bei der zweiten LP ‘In den Gärten Pharaos’ schien die Zeit zum Stillstand gekommen: gedehnte ätherische Tonschleier wurden überlagert von silbrigen Stimmen und fernöstlichen Trommelklängen.

Vor wenigen Tagen erschien nun die dritte Langspielplatte von Popol Vuh: ‘Hosianna Mantra’. Mit diesem religiösen Titel stellt sich Popol Vuh in neuer Besetzung vor. Conny Veit (Gitarre), Robert Eliscu (Oboe), Klaus Wiese (Tamboura) und die koreanische Sängerin Djong Yun begleiten Florian Fricke, der Piano und Cembalo spielt und bei der Instrumentierung seiner Kompositionen von ‘Hosianna Mantra’ beinahe ganz auf die Synthesizer-Elektronik verzichtete. POP sprach mit Florian Fricke und Conny Veit über das ungewöhnliche Album:

POP: Das Album ‘ Hosianna Mantra' steht in enger Beziehung zu den Überlieferungen der abendländischen Kirchenmusik. Welche Bedeutung hat Religion in der Musik von Popol Vuh?

Florian: Schon unsere LP ‘In den Gärten Pharaos’ trägt musikalisch sehr sakrale Züge, doch das wird bei rein instrumentaler Musik noch nicht so deutlich. Beim Komponieren von ‘Hosianna Mantra’ bin ich von christlichen Textinhalten ausgegangen, und in meinem Selbstverständnis ist ‘Hosianna Mantra’ auch sehr christliche Musik.

Conny: Ich wollte mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln urchristtliches Sein und Fühlen erfassen, um die Richtigkeit elementarer Wahrheiten im christlichen Wort zu vermitteln.

Florian: Jede Zeit hat dafür natürlich ein anderes Gefühl. Vielleicht kann man es so ausdrücken: Christliche Musik ist im Fühlen schmerzlich und im Ausdruck lächelnd, wie die Rose als christliches Symbol. Die Rose hat Dornen auf dem Weg nach oben, und oben thront etwas ganz Wunderbares, die Blüte. Kreuzigung und Auferstehung, Sterben um geboren zu werden, das ist christliches Verständnis - wie auch die E-Gitarre, wie Conny sie spielt: jubelnd und klagend zugleich.

POP: Die gesungenen Texte sind der Bibel entlehnt. Welche Beziehung hat Popol Vuh zum christlichen Glauben?

Florian: Ein Freund hat mir vor einiger Zeit die Übersetzung des alten Testaments von dem jüdischen Philosophen Martin Buber geschenkt. Die sinnliche, strahlende Sprache, die übersichtliche szenische Ordnung dieser Übersetzung hat mir das Wesen der biblischen Gestalten sehr nahe gebracht: die Bibel wurde Leben für mich. Ich würde meinen Ansatz damals, beim Lesen, gar nicht so sehr religiös nennen. Doch mit der Zeit hat sich das verfeinert. Textvergleiche mit Luthers Übersetzung haben mir dann nachträglich den hohen geistigen Rang seiner Sprache und seiner Deutung bewusst gemacht. Text, der auf dem Album ‘Nicht hoch im Himmel’ heisst, ist mir schon länger bekannt. Diese Zeilen erscheinen mir deshalb so wichtig, weil ich weiss, dass eine religiöse Platte heutzutage sicher oft missverstanden wird. Dieser Text sagt aber doch ganz deutlich, dass Gott nicht ausserhalb der Reichweite des Menschen ist: Gott ist hier unten, in unserem Tun, Sprechen und Fühlen. Das ist wichtig auszudrücken.

POP: Der Moog-Synthesizer spielte als schier unerschöpflicher Klanggeber in der Musik von Popol Vuh eine wesentliche Rolle. Warum entstand ‘Hosianna Mantra’ ohne die Moog-Elektronik?

Florian: ‘ Hosianna Mantra’ sollte im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Platten klarer und reiner werden; sollte den Assoziationsraum aus dem Trip-Bereich in den eines sakralen, ergriffenen religiösen Fühlens rücken. Deshalb möchte ich den Moog-Synthesizer im Zusammenhang mit christlich-religiöser Musik nicht verwenden.
Die elektronische Musik ist heute von ihren kommerziellen Verwertern zu sehr in den Bereich des LSD-Wahns gerückt worden. Als ich mit elektronischer Musik anfing, wurde in Deutschland so gut wie nichts von jüngeren Leuten auf diesem Gebiet getan. Danach kam eine wahre Flut an Elektronik im Rahmen der Popmusik oder im Rahmen dessen, was heute so wenig bescheiden ’kosmische Musik’ genannt wird. Da sass ich dann in dem grossen wabernden Trog, der mir so unendlich unsympathisch ist - da ich aus dieser technischen Musik meist nur Kosmos-Angst, nie Verbundenheit mit dem Kosmos heraushören konnte. Man kann wohl mit Elektronik zunächst mehr als mit anderen, natürlichen Klängen die Tiefe, das Unbewusste, das Zeitlose des Menschen erreichen. Das hat mich lange fasziniert. Ein schönerer und ehrlicher Weg scheint mir heute jedoch zu sein, sich selbst ohne technische Hilfsmittel zu reinigen und zu verinnerlichen, und dann mit einfacher, menschlicher Musik diese Räume des Dunkels oder Lichts im Menschen anzurühren.