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Source: Zeitmagazin , nr. 34,  1973-08-17
Author: W. Burkhardt

Deutscher Rock auf eigenen Füssen

Sie kommen vom Rock ‘n’Roll und von der Elektronik, vom Blues und von der indischen Musik, vom Barock und neuerdings wieder vom Jazz .... sie alle versuchen, angelsächsische Idole abzuschütteln, nicht nur Rockmusik in Deutschland, sondern deutsche Rockmusik zu machen. Wie arbeiten sie, wie ist ihr Publikum, wie sehen sie sich selbst?

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“In der Dreiprinzipienarchitektur der tibetischen Kosmogonie - bei der die höchste Stufe die achte ist, da die Null als Repräsentanz des Vorweltlichen, Ungeborenen mitgezählt wird - wird der Gehörsinn als eine Manifestation der achten Stufe des geistigen Prinzips (Chi oder Luft) verstanden. “ Also sprach Florian Fricke, das geistige Zentrum der Gruppe Popol Vuh in München. Doch Bangemachen gilt nicht. Fricke äußert sich artikuliert und selbstbewußt zu seiner Musik:
“Popul Vuh - so heißt die Schöpfungsgeschichte der Quique-Indianer. Die leben in Guatemala. Auf deutsch bedeutet das etwa ‘Buch des Rates’. Doch jede Übersetzung wäre eine Grobheit, weil man diese alten Kulturen nicht mehr so genau kennt. Im Original ist der Text kaum noch aufzutreiben, denn er steht auf dem kirchlichen Index. Die Katholiken haben ein schlechtes Gewissen, weil sie diese Völker ausgerottet haben. Nur in seiner Urform handelt das Buch noch von dem Gegensatz zwischen Unbewußt und Bewußt, beschreibt es vorbewußte Zustände der Seele.”
In einem sehr gepflegten Haus am Rande Münchens, weitläufige, nobel ausgelegte Altbauzimmer in lichten Farben, wohnt Fricke mit seiner Frau, und wenn er Mystisches spricht, dann schmeckt ein solcher Hang zum Kontemplativen natürlich auch ein bißchen modisch, nach indischem Trip.
Doch Fricke betrachtet sich vor allem als Musiker, der während seines Studiums “über die Felder gerannt ist und vor Verzweiflung geheult hat, weil die Schule so hart war”. Er sagt: “Für mich ist Musik eine bitterernste Angelegenheit, die keine Hast und keine Flüchtigkeit verträgt. Ich bin ein ausgebildeter Musiker. Das unterscheidet mich von vielen anderen pop-Musikern”.
Doch, etwas verwöhnt Aristokratisches geht schon von ihm aus, der sich mit seiner Gruppe gern auf Güter, Landsitze und in die weihevolle Geborgenheit kirchlicher Räume zurückzieht, der von sich behauptet, über die technischen Möglichkeiten eingestiegen zu sein, der aber nun zu den natürlichen, nicht elektronisch eingefärbten Instrumenten zurückkehrt.
“Der Weg von der Imagination zur Verwirklichung ist jetzt kürzer. Kein zerrissenes Kabel unterbricht ihn”. Immer mehr wendet sich Fricke sakralen Themen zu, bittet er in seiner Musik um die Freigabe des Menschen aus Verwirrung und Haft. Seine Frau hat mit der Atemausbildung, er selbst mit Yoga angefangen. Sie berichten sachlich über die Stadien ihrer Verwirklichung, aber wichtiger ist ihnen die Musik: ”Die Ergriffenheit beim Spielen - das ist die Realität. So herumsitzen und reden und zeigen - das ist nicht das Eigentliche”.

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