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Source: Musikexpress, Fachblatt, Sounds, 1978-1979
Author:

Brüder des Schattens - Söhne des Lichts

Three reviews:

1.  Ein Wagnis ist es immer, außermusikalische Gedanken zu vertonen. Weil in den seltensten Fällen direkt auszumachen ist, was gewollt war. Indirekt klappt’s eher, bei Popol Vuh manchmal. Florian Fricke ist offenbar immer noch auf der Suche nach dem eigenen Ich. Gesucht hat er unter anderem am Himalaya in tibetanischem Gesang und bei den Kurden am Euphrat. Gefunden hat er dabei wenigstens, woran es bei den meisten Zeitgenossen krankt: eigene Identität. Ein Stückchen Therapie kann sein 15. Album bedeuten, auch wenn man die pseudoreligiöse Verbrämung nicht akzeptiert und wenn man über gelegentliche Kerzenscheinromantik hinweghört. Das Klavier wird im Echo gestreckt, ein Münchener Kinderchor murmelt bedeutungsschwanger, Gitarren, Sitar und Oboe setzen lang sich ausdehnende Schwingungen ab, die ins Bewußtsein kriechen, die Zeit tropft schwer in die Adern. Der Plattenspieler ist nur Medium – du bist das Objekt, bist selber der Berg, den du vor dir auftürmst, an dem sich als Echo die Frage bricht: „Wer eigentlich bist du?“ Vielleicht kriegst du eine Antwort.

   Musik Express, 12, 1978

 2.  Die Platte – auch diese jüngste Platte der Münchener Gruppe – enthält keine diesseitige, reale Musik, sondern bildet ein klangliches Skelett, zu dem der Hörer etwas hinzudenken muß. Für sich genommen sind die vier langsamen wie langen Stücke ebenso viele stehende Klänge, und sie leben von solcher verschwenderischen Armut und von solcher virtuosen Dürftigkeit: das über siebzehn  Minuten währende Einleitungsstück verwendet lediglich die Akkorde Es-Dur und C-Moll. So etwas wie ästhetische Information findet nicht statt, denn nichts gibt es da, was sich als Formablauf und harmonisches Leben ereignet. Florian Fricke komponiert seine Stücke nicht als selbstgenügsame, mit ästhetischen Gesichtspunkten in den Griff zu bekommende Kunstwerke, sondern als Begleitklänge zu religiösen oder scheinreligiösen Gefühlen und Vorstellungen. Wer die Fähigkeit nicht besitzt, metaphysisch zu denken und zu leben, geht beim Hören der Platte leer aus. Man kann einen aufrichtigen Respekt vor der Musik und den Musikern dieses einwandfrei produzierten Albums empfinden. Aber reden kann man darüber nicht.

   Fachblatt, 1, 1979

 3.  Eine sehr statische Platte ist das, auf der die immer wiederehrenden Melodielinien von Florian Frickes Piano und von Daniel Fichelschers Gitarren, die sich ineinanderranken und einander ablösen, die bestimmenden Elemente sind. Im 17-minütigen Titelstück spielen ein Kirchenchor, eine Oboe und Alois Gromers Sitar wichtige Rollen, während der Schlagzeuger bei ‚Die Umkehr‘ in den Credits leider keine Erwähnung findet. Das alles ist (wie von Popol Vuh nicht anders zu erwarten war) eine nach innen gekehrte, friedliche, gelöste Musik mit religiösen, meditativen Absichten, die keinen Weg vorgibt und deshalb recht schlicht daherkommt. HERZ AUS GLAS, die vorherige Produktion, war hymnischer, feierlicher, hat mehr Aufmerksamkeit für sich gefordert und war mir deshalb spontan vertrauter und lieber.

    Sounds, 3, 1979