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Source: Fachblatt Musik Magazin, nr.8, 1997, p.28-29
Author:  Michael Fuchs-Gamböck

Krautrock lebt

Wir sprachen über das Phänomen mit Krupps-Vorstand Jürgen Engler und Florian Fricke von Popol Vuh

Niemand weiß so recht warum, aber der kauzige Sound namens Krautrock, Deutschlands erste eigenständige Rockmusik, feiert seit rund zwei Jahren ein grandioses Comeback. Merkwürdige Namen wie Amon Düül, Popol Vuh, Guru Guru oder As Ra Tempel werden auch von jungen Musikfans beinahe ehrfürchtig in den Mund genommen. Krautrock-Alben aus den späten 60er und frühen 70er Jahren finden immer größere Beachtung. “Wahrscheinlich”, vermutet Julian Cope in seinem Buch ‘Krautrocksampler’(auf deutsch im Verlag ‘Der grüne Zweig’ erschienen), “hat dieser Sound überlebt, weil ihm nichts gleicht, weil es die aufregendste Musik ist, die ich kenne. Und deshalb ist sie auch heute modern wie nie zuvor”.

Höchste Zeit, zwei Krautrock-Experten aus zwei verschiedenen Generationen an einen gemeinsamen Tisch zu bitten. Jürgen Engler, Jahrgang 1960, ist nicht nur Frontmann der erfolgreichen Techno-Metal-Band Die Krupps, sondern auch ein passionierter Krautrock-Fan. Deshalb hat er sich 1995 einen langgehegten Wunsch erfüllt und die CD ‘Other Places’ eingespielt, bestehend aus einer viertägigen Session mit den Krautrock-Heroen Dieter Moebius (Cluster) und Mani Neumaier (Guru Guru). Auf diesem Album, das im ersten Take und ohne Overdubs vorliegt, ist, so Enlger, “Krach mit Kontur” und “meine ganz persönliche Reminiszenz an die aufregendste Musik, die Deutschland je hatte” zu hören. Im April dieses Jahres hat Engler zusammen mit Mitgliedern von Amon Düül, Faust, Guru Guru, Cluster und Can die CD ‘Other Places II’ aufgenommen, die im Herbst erscheinen wird.
Florian Fricke, Jahrgang 1944, ist Begründer und Kopf der Münchener Band Popol Vuh, die stets als Krautrockpionier gehandelt wurde. Fricke war nach Eberhard Schoener der zweite Musiker in Deutschland, der einen Moog-Synthie besaß. Sein Debütalbum ‘Affenstunde’ wird bis heute als “wichtigste deutsche Elektronik-Platte” gehandelt. Schon nach ihrem zweiten Album ‘In den Gärten Pharaos’ wandte sich Popol Vuh von der Elektronik ab und archaisch-meditativen Klängen zu. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden Popol Vuh durch die Soundtracks für etliche Werner Herzog-Filme wie ‘Aguirre, der Zorn Gottes’, ‘Nosferatu’ oder ‘Fitzcaraldo’. Auf ihrem bislang letzten Album ‘City Raga’ wagten Popol Vuh die Verschmelzung von House- und Techno-Klängen mit Ethno-Samples. Das nächste Werk ‘Shepherd’s Symphony’ wird im Spätherbst erscheinen, zudem arbeitet Fricke derzeit mit dem Ex-DAF-Mitstreiter Robert Görl an, so Fricke, “Einer Art Ambient-Symphonie”. Darüber hinaus hat sich Jürgen Engler spontan nach dem nachfolgend abgedruckten Gespräch bereit erklärt, eine Remix-Version von Popol Vuhs Debütscheibe ‘Affenstunde’ in Kooperation mit Florian Fricke einzuspielen. “Die Zeit dafür”, so Engler, “ist reif”.

Jürgen, du bezeichnest dich als ‘Krautrock-Fan’ und versuchst seit geraume Zeit, die Heroen von einst in neuem Licht erstrahlen zu lassen. Florian hingegen wollte und will mit dieser Szene nie etwas zu tun haben, obwohl man ihn immer als Krautrockpionier bezeichnet hat. Warum ist dir als ‘Zu-Spät-Geborenem’ diese Musik so wichtig?

Jürgen Engler: Ich verstehe, daß Florian kein Krautrocker sein will - schließlich wurde dieser Begriff als Schimpwort von den Engländern geprägt. Für mich is Krautrock jedoch längst kein Schimpwort mehr. Dieser Ausdruck steht für die einzige Popmusik, die Deutschland in der Nachkriegszeit hervorgebracht hat. Ende der 60er Jahre herrschte in diesem land eine irre Aufbruchsstimmung - Musiker hörten auf, nach England oder Amerika zu schielen, zie waren endlich selbstbewußt genug, etwas Eigenständiges zu kreieren. Wenn man dazu Krautrock sagt, ist das kein Problem. Ich denke, jedes Ding braucht seinen Namen. Wichtig ist nur, was dahinter steht. Und das war und ist für mich absolut revolutionäre Kunst. Deshalb interessiere ich mich auch dafür. Schlimm wurde es erst Mitte der 70er, als aus Krautrock so was wie Deutschrock wurde. Das war ein Schritt zurück zu den anglo-amerikanischen Vorbildern.

Florian Fricke: Ich glaube trotzdem, daß du keine Ahnung davon hast, wie wir damals gearbeitet haben. Klar haben wir experimentiert und wollten etwas Neues, Eigenständiges gestalten. Aber zu welchem Preis! Ich erinnere mich noch an die Aufnahmen zur ersten Popol Vuh-Platte ‘Affenstunde’, als ich mit zwei Revox-maschinen arbeitete und nicht das Knowhow hatte, um sie in paralleler Geschwindigkeit am Laufen zu halten. Es ist mir prompt mißlungen, deshalb stehe ich bis heute nur zum ersten Stück dieser Platte. Für mich war meine technische Unwissenheit ein Versagen, für etliche Leute aber klang das Resultat völlig abgedreht. Also: wenn ich andere Maschienen hätte, wäre sicher eine andere Platte entstanden. Vielleicht kein Angeblicher ‘Meilenstein der elektronischen Musik’.

Jürgen Engler: Ich halte diese Geschichte trotzdem für total irre. Weil es sehr spannend gewesen sein muß, unter diesen Umständen zu arbeiten.

Florian Fricke: Für mich als klassisch ausgebildeten Musiker war es das nicht immer. Aber ich gebe dir dennoch recht mit deiner Einschätzung, daß etliche junge Musiker in den späten 60ern in Deutschland unbedingt etwas Andersartiges in der Musik gestalten wollten. Wir wollten unter allen Umständen weg vom Zwang zur imitation. Zuvor steckten wir in einer Art Nachkriegs-Depression, denn das Klima in diesem Lande verleugnete das Eigenständige. Doch als es mit Can, Amon Düül oder Popol Vuh losging, haben wir diesen gräßlichen Schlagermief und diese Beatles-Kopisten einfach weggefegt. Insofern hat die Krautrock-Ära durchaus ithre Bedeutung in der Musikhistorie. Aber was damals entstanden ist, darf nicht - wie etwa Julian Cope in seinem Buch behauptet - als die ‘beste Musik alle Zeiten’ gesehen werden. Dafür waren die Umstände nicht professionell genug. Wir waren doch allesamt mehr ode weiniger beseelte Amateure.

Jürgen Engler: Es ist sicher nicht die beste Musik, aber es ist ausgesprochen wichtige Musik. Gerade dadurch, daß es in Deutschland lange kein Popkultur gab, hat der Krautrock ja diesen so irren, andersartigen Dreh bekommen. In England und Amerika war die Rockmusik damals schon beinahe 20 Jahre alt, sie hatte eine Basis. Die gab es in Deutschland leider nicht. Und deshalb klingt Krautrock auch so einzigartig - weil er auf nichts aufbaut und sich selbst erfunden hat.

Florian Fricke: Die Musik was aber auch extrem abwechlungsreich. Unter dem Etikett Krautrock firmierten so unterschiedliche Bands wie Can, Amon Düül, Tangerine Dream oder eben wir von Popol Vuh. Gerade weil wir unterschiedliche musikalische Ansätze hatten, waren wir uns untereinander auch nicht besonders grün. Amon Düül etwa haben ganz böse auf uns runtergeguckt und ‘Schlips-Musik’ dazu gesagt. Während ich völlig ratlos war, als ich eine Woche lang mit Tangerine Dream an 'Zeit’ arbeitete - ich hatte keine Ahnung, was die eigentlich wollten.

Jürgen Engler: Diese Streitkultur ist mir auch zugetragen worden, als ich an den beiden ‘Other Places’-Alben arbeitete. Wir Mitwirkende saßen alle zusammen beim Essen, als mir Zappi von Faust sagte: “Weißt du, Jürgen, so eine Kooperation wäre vor 20 Jahre nicht möglich gewesen. Da waren wir untereinander völlig verfeindet.” Plötzlich aber funktioniert das. Weil die 90er anscheinend die Ära der Versöhnung sind. Das ist gut so. Da wir, die jüngere Generation der Musiker, eine Menge von euch alten Recken lernen könnnen. Ich hielte es für absurd, wenn ihr euch nach wie vor untereinander hassen würdet. Mit feindschaften erreicht man keine Öffentlichkeit. Und es wäre schön, wenn möglichst viele Leute eure Musik hören würden.

Wann bist du eigentlich auf den Krautrock gestoßen?

Jürgen Engler: Ich bin Jahrgang 1960 und habe mir 1972 Cans ‘Ege Bamyasi’gekauft, gleich danach eine Guru Guru-platte. Ich war von Anfang an von dieser Musik fasziniert. Es war eine Art von Offenbarung für mich, diese wilde Ästhetik in den Sounds. Ich kam auf Can, als ich bei ‘Der Kommissar’ Cans Stück ‘Spoon’ hörte. Dieses Lied hat mich völlig umgeworfen, weil es nichts Vergleichbares gab. Danach war nichts mehr wie vorher. Und es war immer mein Traum, einmal mit diesen Krautrockhelden zusammenzuspielen.

Florian Fricke: Trotzdem bist du ein Realist für mich, kein Träumer. Zwar bist du bei einem Independent-Label, aber deine Platten sind in den Charts notiert, du verkaufst jede Menge davon, du kannst prächtig von der Musik leben. Für mich hingegen ist die Tatsache, Musiker zu sein, ein permanenter Überlebenskampf.

Jürgen Engler: Ich gebe zu, daß ich mich mehr ums Busineß kümmern muß als um die Musik. Aber ich glaube, das bringen harte Zeiten wie die 90er für einen Künstler einfach mit sich, wenn er nicht rettungslos untergehen will.

Florian Fricke: Wenn dem tatsächlich so ist, müßte ich eigentlich aufhören, Musik zu machen. Weil es sich für mich immer ausgeschlossen hat zu komponieren und mich ums Geschäft zu kümmern. Ich habe mein Leben lang Musik gemacht und irgendjemand hat das Zeug veröffentlicht - nicht aus marktstrategischen Gründen, sondern weil er es für aufregend und neu hielt. Ich glaube, das sollte die Aufgabe eines jeden ernsthaften Musikers sein. Alles andere wäre traurig.

Jürgen Engler: Ist es auch. Trotzdem liegt es in der natur der Dinge, daß ich mich heutzutage auch mit der Busineßseite abgeben muß, wenn ich die Öffentlichkeit erreichen will. Wenn ich das nicht tue, kann ich von der Musik nicht leben, kein Mensch hört meine Platten und ich werde auch noch von der Industrie ausgebeutet. Das will ich nicht! Versteh’ mich nicht falsch: Ich gehe musikalisch keine Kompromissie ein, wenn ich eine Platte aufnehme. Aber ich weiß, was ich tun und wie ich das Zeug vermarkten muß, um es der Menschheit zu verkaufen. Das fällt mir nicht immer leicht, kann aber auch Spaß bereiten. Ich habe ja ein Ziel, einen Anspruch an mich selbst, eine starke Identität und einen gewissen Enthusiasmus, was meine Arbeit angeht. Und deshalb beiße ich in den sauren Apfel des Marketing. Aber wenn meine Strategien funktionieren, sich meine Platten also verkaufen - dann habe ich die Freiheit, Seitenprojekte wie diese Krautrock-Sache wie diese Krautrock-Sache in Angriff zu nehmen.

Wie kamst du auf die Idee?

Jürgen Engler: Witzigerwiese, als ich vor drei oder vier Jahren durch Düsseldorf fuhr und an den Litfaßsäulen Plakate für Baker, Bruce & Moore sah. Da dachte ich mir: “Mensch, Gary Moore hat zwei seiner alten Heroen aufgetrieben und macht mit ihnen eine Platte - die dann auch noch in die Charts geht. Ja, um Himmels willen, wo sind eigentlich unsere alten Helden, warum geht an die keiner von der jüngeren Generation ran und macht mit ihnen eine Scheibe?” Und gleich darauf dachteich mir: “Gut, Jürgen, dann machst es eben du.” Ich wollte dieses Projekt unbedingt durchziehen. Und weil es soviel Spaß bereitet hat, geht es jetzt eben weiter, ‘Other Places II’ wird nicht die letzte Platte dieser Art sein. Ich möchte meinen Teil dazu beitragen, daß die Helden von einst ihren verdienten Lohn einfahren. Wenn ich das schaffe, bin ich verdammt stolz auf mich.

Florian, siehst du in Jürgen einen Art Reinkarnation dessen, was ihr damals gemacht habt - oder hat er mit Krautrock rein gar nichts zu tun?

Florian Fricke: Immerhin hat er lange Haare, so wie wir damals auch. Ansonsten halte ich seinen positiven Glauben an das Individuell in der Musik und auch an die Musikindustrie für äußerst lobenswert. Das gefällt mir anhand der herrschenden gesellschaftlichen Umstände sehr gut. Wobei ich mir sicher bin, daß Jürgen kein Krautrock-Adept ist. Er ist ja auch ein Pionier, schließlich hat er als einer der ersten in Deutschland mit techno herumexperimentiert. Allerdings hatte der Techno-Underground noch nie ein Problem mit der Kommerzialisierung seiner Arbeit, es ist eben eine andere Generation. Wir aber sind an dieser Frage gescheitert. Wir konnten mit dem kommerziellen Aspekt nie umgehen, deshalb löste sich die Krautrockszene sang- und klanglos auf, ohne die dicke Kohle verdient zu haben. Aber spannende Musik, die haben wir bestimmt gemacht. Das ist der Grund, weshalb diese Musik wiederentdeckt wird. Und das völlig zu recht