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Source: Keyboards, nr.2, 1993, p.16-28
Author: Rainer Blome

Vom Moog zu Mozart - Florian Fricke

"Wir verstehen uns nicht als Musiker, sondern als Menschen, deren Entscheidung es war, das, was sie fühlen und was sie fühlen läßt, in Musik auszudrücken. Der Glaube an Vermittlung und Kommunikation ist unser Glaube an Musik. Die Musik, die wir machen, entsteht aus der Rückerinnerung. Wenn wir an Melodik denken, dann erinnern wir uns, wie wir als Kinder gesungen haben; absichtslos und nur zur eigenen Freude. Irgendwann haben wir aufgehört, wie die Kinder zu singen. Heute holen wir das nach.

Wir lernen, unsere Phantasie zu begreifen, wir ergreifen sie, wir leben sie. Unsere Musik und ihre Wandlung werden diesen Weg vermitteln: Das traumatische Leben, die unbewußten Räume. So hat unsere Musik zwangsläufig mehr Bezug zu der Musik der Urvölker, - aber ohne sich an sie anzulehnen.Wir begegnen dem Unbewußten mit unserem Bewußtsein, wir fallen aus der Zeit und dehnen diesen Augenblick.

Wir vermitteln eine Meditationsform in der Musik, die aus der Kultur kommt. Nicht aus der indischen und auch nicht aus irgendeinem anderen Kulturbereich. Der Name Popol Vuh sagt nicht, daß wir so denken würden, wie die Quiche-Indianer, dem Ursprung der Maya-Kultur, sondern wir bewundern an dem ‘Popol Vuh’ die Art und Weise, wie dieses uralte Buch entstanden ist: in einer Gigantischen Rück-Erinnering."

Unschwer auszumachen anhand der euphorischen, in endlosen Kiffer-Visionen entstandenen Erklärungssprache, ist dies ein Zitat aus einer Selbstbeschreibung der Gruppe Popol Vuh, die Florian Fricke 1970 in der damaligen deutschen Musikzeitschrift ‘Sounds’ veröffentlicht hat, das aber auch heute noch für das Musikverständnis von Florian Fricke gilt.

Florian Fricke, 1944 am Bodensee geboren, hatte damals gerade zusammen mit Frank Fiedler und Holger Trülzsch Popol Vuh gegründet und lebte gemeinsam mit verschiedenen anderen Künstlern in einem alten Pfarrhof im Bayerischen Peterskirchen bei Wasserburg. Dort versenkte er sich auch in die Tiefe der neuartigen Klangsmöglichkeiten, die ein Instrument bot, das damals nur in einem Dutzend Exemplaren auf der Welt existierte, und das heute als der Ur-Synthesizer gilt: der Moog, genauer gesagt: ein modulares Moog-System. (Wenn Sie einen Eindruck bekommen möchten: Das etwas jüngere modulare Moog System 55 stellte Matthias Becker in seiner KEYBOARDS-Reihe ‘Synthesizer von gestern’ in Ausgabe 3/90 vor.)

Im folgenden Intevierw ist nachzulesen, daß Fricke den Moog nicht seiner Elektronik wegen schätzte, sondern weil er ihm seine Vorstellungen als Komponist verwirklichen half. Florian Fricke ist - das ist auch nachzulesen - also kein elektronischer Musiker, sondern der Komponist und Klavierspieler. Schon 1972, als er die Möglichkeiten des Synthesizers erschöpft sah, hat er aufgehört, mit dem Moog zu arbeiten.

Den Musikern mit denen Fricke im Verlaufe von jetzt 22 Popol Vuh-Jahren zusammengearbeitet hat, konnte er seine Ideen und Vorstellungen immer anschaulich und eindrücklich vermitteln. Der Erklärung seiner Musik in der Öffentlichkeit jedoch ist nicht seine Sache. Er ist ein Mann im Hintergrund, der Analyse und Beschreibung seiner Musik lieber anderen überläßt. So ist denn auch der Nachholbedarf an Informationen bei Popol Vuh und Florian Fricke riesig groß.

Als erstem Musikmagazin ist es KEYBOARDS nach einen Jahrzehnt Interview-Abstinenz gelungen, Fricke aus seiner Reserve zu locken und zu einem Gespräch zu bewegen.

Keyboards: Du hast Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre angefangen, als einer der ersten hierzulande den legendären Moog-Synthesizer zu er- und bearbeiten, und das zu einer Zeit, als ‘Elektronik’ auf dem Pop/Rock-Sektor gleichbedeutend mit ‘Exotik’ war. Wie bist du da damals reingerutscht, wie hast du das als klassisch geschulter Musiker empfunden?

Florian Fricke: Ich war auf diversen Musikhochschulen in Freiburg und München, wo ich Komposition und Klavier studiert habe. In gewisser Weise hat es mich immer schon immer zum Komponieren hingezogen, und als ich dann bei Eberhard Schoener die Gelegenheit hatte, einen der ersten Moog-synthesizer in Deutschland kennenzulernen, hatte ich gleich das Gefühl, daß dies genau mein Ding ist.

Ich war so fasziniert von dem monströsen Apparat, daß ich mich daran machte, Geldgeber zu finden, die einen solchen Apparat zu meiner Verwendung kauften. Damals gab es in ganz Europa drei, höchstens vier Exemplare dieser superteuren Wundermaschine. Das was der äußere Weg zum Moog. Hinzu kam, daß dieser UR-Moog Klangwelten beinhaltete, die mich unglaublich faszinierten, weil da Klänge waren, die ich nich nie gehört hatte. Ein Komponist lebt immer mit irgendeiner Klangvorstellung, wenn er komponiert, und die Klangmöglichkeiten dieses Instruments waren damals völlig überraschend. Nicht nur, weil sie neu waren. Es gab ja vorher auch schon Elektronik, aber die wurde im Studio geschnitten und gebastelt. Und hier war jetzt ein Instrument, auf dem man richtig spielen konnte.

Keyboards: Dieser erste Moog, heute längst eine Legende, war ein riesiger, schwer handhabbarer Apparat mit unzähligen Steckverbindungen und Modulen. Was hast du für Erinnerungen an die Arbeit damit?

Florian Fricke: Ja, dieser erste Moog hatte so seine Tücken. Er war natürlich in keiner Weise so stabil wie heutige elektronische Apparate. Die Sounds waren auch nicht direkt abrufbar, wie das heute der Fall ist. Man mußte sich vielmehr immer wieder aufs Neue zu diesen Klangwelten hinbegeben, sie immer wieder neu erarbeiten. Zudem reagierte dieses Instrument auf die kleinste Stromschwankung mit Tonhöhenänderungen - das war ein Spiel wie auf Rollschuhen. Doch als ich das Instrument dann besser kannte und mit seinen Fehlern umzugehen lernte, traute ich mich sogar, damit auch einige Live-Auftritte zu bestreiten.

Keyboards: war das ein Lotteriespiel, ob es klappte oder nicht?

Florian Fricke: Nicht unbedingt ein Lotteriespiel, aber natürlich in keiner Weise so sicher, als wenn ich mich ans Klavier setzte und weiß, der Flügel läuft mir nicht davon.

Keyboards: Kommen wir jetzt zur ersten Popol-Vuh-Platte, auf der du den Moog eingesetzt hast, die 1970 entstandenene LP ‘Affenstunde’.

Florian Fricke: Die ‘Affenstunde’ war damals so überraschend neu, daß sie auch gleich ein entsprechendes Echo gefunden hat. Sie ist in einer Zeit entstanden, in der man - nach all den repetitiven Musik-Klischees wie dem Schlager in Deutschland und dem Rock und Pop in den USA - das Bedürfnis nach neuen Klängen hatte. Die ‘Affenstunde’ wurde wie in einem Live-Prozeß hergestellt, also ohne verschiedene Takes anzufertigen, die dann einander zugeordnet wurden. Es wurde alles in einem Zug gespielt und aufgenommen. Neu war die Klangwelt, die den Hörer in einem anderen Raum versetzte, als das die bisherige Musik volbringen konnte. Die Platte wurde zwar kein Welterfolg aber sie hat eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen in der ganzen Welt außerordentlich angesprochen.

Allein der Titel ‘ Affenstunde’ war schon exotisch, weil man assoziieren mußte, was damit gemeint war: die Erhebung des Menschen vom Tier und die Frage nach dem Wodurch. Nämlich durch des Menschen Fähigkeit, von sich selbst zu wissen und Fantasie zu entwickeln.

Keyboards: "Affenstunde" ist aber auch in eine Zeit rausgekommen, in der die damals aufrührerische Jugend ihrem neuen Lebensgefühl durch eine ganz bestimmte Musik Ausdruck verlieh. Hast du dich auch als Teil dieser Begegnung gesehen?

Florian Fricke: Ja, selbstverständlich. Wir haben voll und ganz in der Zeit gelebt. Ich habe das auch als Beitrag zu diesem Aufbruch verstanden, der damals weltweit stattfand: Dinge neu anzuschauen, Dinge neu zu verstehen - und dazu kann Musik sehr beitragen, da sie ein Stück Lebensinhalt junger Leute ausmacht. Das war damals nicht anders als heute.

Keyboards: Hast du die Popol-Vuh-Musik als politische Musik verstanden?

Florian Fricke: Nein überhaupt nicht. Höchstens insofern, als jegliche Kultur politisch ist. Denn wenn man das Denken des Menschen verändert, macht man Politik, denn das hat immer Konsequenzen.

Keyboards: ein Jahr später kam dann die nächste LP ‘In den Gärten des Pharao’. Gab es da schon Unterschiede in der Arbeitsweise im Vergleich zur ersten?

Florian Fricke: Die Beschäftigung mit der ‘Affenstunde’ hat einen bestimmten Teil der Möglichkeiten des Moog hervorgebracht. Aber da gab es noch einen anderen Teil, der noch nicht getan war. Ich kannte gewisse Klänge, die ich in meiner Vorstellung schon hattte, noch nicht. Beim ‘Pharao’ habe ich die menschliche Stimme gesucht und ausgelotet. So ist der ‘Pharao’ anders als ‘Affenstunde’ ein sehr lyrisches, gesanglich-elektronisches Stück geworden, mit modernen Chorälen und der Imitation einer Sopranstimme. Danach war dann allerdings das, was ich nur von diesem instrument ersehnt hatte, in mir befriedigt und auch erschöpft, und ich habe aufgehört, auf dem Moog zu spielen. Klaus Schulze hat ihn dann von mir übernommen.

Keyboards: Damals, Anfang der 70er Jahre, als du eure ersten beiden Platten machtest, gab es in der neuen deutschen Rockszene auffällig viele Gruppen, die eine ganz spezielle Art von Electronic Rock machten, von denen drei als so etwas wie die Pioniere dieses Genres gelten, deren Einfluß noch heute wirkt. Neben Popol Vuh waren das Tangerine Dream und Kraftwerk. Wie würdest du euch und die beiden anderen stilistisch einordnen?

Florian Fricke: Die Elektronik, die Kraftwerk machte, war die Antwort auf den Maschinen-menschen, und die Musik, die Tangerine Dream machte, war mehr psychedelisch betont, in einer modernen Nachfolge von den frühen Pink Floyd. Die Musik von Kraftwerk war damals überraschend neu und für mich anfangs nicht so ohne weiteres verständlich, weil sie so sehr maschinenbetont war. Sie war die direkte Reflexion auf das, was in bezug auf technischen Fortschritt um uns herum passierte, daß der Mensch am Arbeitsplatz mehr und mehr durch Roboter verdrängt wurde, was ja zu der Zeit gerade begann. Wir als Popol Vuh dagegen haben versucht, den Synthesizer nicht als bloßen Re-Produzenten von Technik zu sehen und Musik zu machen, in der Atmosphäre und Lyrik von Bedeutung waren. Der Moog hatte ja die große Möglichkeit, durch eine Vielfalt von Filterbänken den glatten und vielleicht auch unmenschlichen Klang zu verfeinern und in schwingendere Klangbereiche zu bringen. Die großen Filterbänke ermöglichten, nicht nur den Klang von Instrumenten wie Oboen oder Geigen nachzumachen, sondern diesen Klängen einen "human touch" zu geben.

Keyboards: Das Moog Modularsystem hatte auch ein Sequenzer-Modul...

Florian Fricke: Das wurde normalerweise dazu benutzt, um feste Rhythmen oder feste Baßabfolgen einzustellen. Ich habe es damals aber so genutzt, daß ich damit den melodischen Ton, den ich gefiltert über den Apparat am Keyboards spielte, noch einmal in eine andere Schwingungskurve brachte, indem ich den Ton über den Sequenzer laufen ließ und die Skala der Bewegung immer unmerklich etwas verändert habe, so daß kein wirklich gerader Ton entstand. Der elektronische [Sinus-]Ton hat keine Obertöne, die einem Ton doch erst die Seele geben. Trotzdem konnte man Obertöne herstellen, wie ich herausfand, indem man zumGrundton leise schwingend die Obertonreihe auf die Tastatur verteille. Und in dem Maße, in dem man den konkreten Ton angeschlagen hat, schwangen dann Terzen, Quarten, Quinten oder Oktaven leise mit. Auf diese Weise entstand ein menschlicher elektronischer Klang. Allgemein war die Arbeit mit dem Moog deshalb so schwierig, weil er völlig überraschend bei bestimmten Situationen ein regelrechtes Eigenleben entwickelte. Wenn ich zum Beispiel während der Arbeit ans Telefon gerufen wurde, mußte ich erleben, daß dieser Apparat, von mir nicht beaufsichtigt, seine eigenen Wege ging. Das hat mich teilweise sehr erschreckt. Ich habe dann auch nie in dem Raum geschlafen, in dem der Moog stand. Bei einer HiFi-Anlage ist das was anders, aber die beinahe menschliche Intelligenz dieses Apparates hat mir manchmal auch Unbehagen bereitet.

Keyboards: Später in den 70er Jahren, dann aber verstärkt in de 80ern, sind immer ausgereiftere Synthesizer und elektronische Musikinstrumente auf den Markt gekommen, die auch leichter zu spielen und zu kontrollieren waren. Hat es dich nie gereizt, weiter mit Elektronik zu arbeiten?

Florian Fricke: Nein, das hat mich überhaupt nicht gereizt. Das hatte alles nicht mehr die Möglichkeiten des Ur-Moog mit all seinen individuellen Klangvariationen. Das war immer nur der 08/15-Elektronikton. Da war klanglich nichts besonderes für mich dran.

Keyboards: Was kam dann, nachdem du dich von der Elektronik abgewandt hattest?

Florian Fricke: Nach dem beiden elektronischen Platten habe ich sofort mit herkömmlichen, akustischen Instrumenten wie Klavier, Gitarre, Oboe und Gesang die Platte ‘Hosianna Mantra’ aufgenommen. Was die musikalische Form und Gestaltung anbelangt, so gab es keinen Unterschied. Auch bei ‘Hosianna Mantra’ habe ich ein tiefes seeliches Schwingen angestrebt und verwirklicht. ‘Hosianna Mantra’ wurde so etwas wie ein Wegbereiter für die heutige New Age-Musik

Keyboards: Diese und andere eurer Plattentitel aus den 70er Jahren - wie ‘Seligpreisung’ oder ‘Das Hohe Lied Salomons’ - brachten dir ein religiöses Image ein. Wie stehst du dazu?

Florian Fricke: Daran ist Rainer Langhans schuld, der mal in einem Interview gesagt hat, Popol Vuh würde kirchliche Musik machen. Das stimmt aber nicht. Im Gegenteil habe ich versucht, die Essenz aller Religionen in einer Note, in einem Ton zu finden. Meine Idee war es immer, zu zeigen, daß es nichts gibt außer dem inneren Funken, dem inneren Feuer, das alle Religionen verbindet.

‘Hosianna Mantra’ wurde in den Bereich von Religion gebracht - wohl auch deshalb, weil die Texte aus der Bibel stammten. Trotzdem war mir das Image nicht recht, religiöse Musik zu machen, weil ich immer nur versucht habe, Musik für den Menschen, für dessen Herz und dessen Seele zu machen. Wenn das religiös ist, dann meinetwegen, aber mit irgendwelchen kirchlicher Gebundenheiten hatte ich wirklich nie etwas im Hut.

Keyboards: Vielleicht bist du auch aus dem Grund gegen dieses religiöse Image, weil Popol Vuh von gewissen Medien gerne in die New-Age-Schublade gesteckt wird.

Florian Fricke: Ich sehe eigentlich nicht, daß das getan wird. New Age ist erst später entstanden. Das ist eine ganz andere Kiste, mit der ich überhaupt nichts zu tun habe, weil New Age vom Kompositorischen und von der ganzen Machart her meinen Intentionen konträr entgegensteht. Einfach nur andere Kulturen zu kopieren, das stand mir nie im Sinn. Ich wollte vielmehr immer nur das Innere im Menschen ansprechen. Wenn jemand meine Musik hört, kann er sich verwandeln, wieder zu seiner Seele zurückfinden.

Ich meine, es geht uns allen ja nicht immer gut. Und da hat Musik - wenn man zum Beispiel Mozart mit Hingabe gespielt hört - die große Möglichkeit, deinen Seelenzustand zu verändern. In der Musik von Popol Vuh sehe ich Sinn, in dir, zum Zuhörer, ein Gefühl zu wecken daß es dir gut geht.

Keyboards: Schon recht früh, nämlich so ab 1972, begann dann deine Zusammenarbeit, mit dem Filmemacher Werner Herzog, eine Kollaboration, die den Namen Popol Vuh auch über den Kreis der bloßen Musikkonsumenten weit hinaus bekannt machte. Von ‘Aguirre, der Zorn Gottes’ über ‘Herz aus Glas’, ‘Nosferatu’ bis ‘ Fitzcarraldo’ und ‘Cobra Verde’ hast du die Musik für Herzogs Filme geliefert. Wie begann eigentlich eure Zusammenarbeit?

Florian Fricke: Das hat - wie eigentlich alles im Leben - einen ganz normalen und unmystischen Anfnag. Herzog war damals für die Synchronisation von ‘Aguirre’ in Rom und suchte eine passende Musik bei Ennio Morricone und fand sie nicht. Eine gemeinsame Bekannte machte Herzog auf mich aufmerksam. Er rief mich später in München an, und zwei Tage später war ich in Rom und habe mir den Film angesehen. Zurück in München habe ich dann eine Musik dazu angefertigt, die Werner Herzog auf Anhieb gefiel. Seitdem gibt es die Zusammenarbeit. So einfach war das.

Keyboards: Was ich aber doch für erstaunlich halte, ist die Tatsache, daß diese Zusammenarbeit, die dir sogar auch einige nicht ganz unbedeutende Filmmusik-Preise eingebracht hat, über so viele Jahre kontinuierlich anhielt und erst mit seinem letzten Film ‘Schrei aus Stein’ abegrissen ist. Gibt es eine Erklärung dafür?

Florian Fricke: Natürlich hat er immer wieder Angebote von Komponisten aus aller Welt gehabt, die Musik zu seinen Filmen zu machen. Warum er dann aber doch über einen Zeitraum von 18 Jahren an mir festgehalten hat, dafür habe ich auch eine einfache Erklärung.

Einmal eingefahrene Arbeitsweisen können den Arbeitsproze enorm erleichtern. Man muß ja bedenken, daß ein Filmregisseur wie auf einer Bombe sitzt, wenn er sich einen Soundtrack-Komponisten aussucht. Es könnte ja passieren, daß eine Musik den Film völlig umdreht oder andere psychologische Bildinhalte betont, als sie in der Intention des Regisseurs liegen. So geht also ein Regisseur einen sicheren Weg, wenn er eine bewährte Zusammenarbeit mit einem Komponisten fortsetzt. Das macht Fellini so, das hat Antonioni so gemacht, Wim Wenders macht das so, und auch Werner Herzog. Und wir werden bestimmt wieder zusammenarbeiten, weil wir uns gegenseitig sehr schätzen.

Keyboards: Filmmusik, so wird gesagt, ist immer dann am besten, wenn man sie vom Film gelöst hört, gar nicht erkennt. Wie sah konkret eure Zusammenarbeit im Einzelnen aus?

Florian Fricke: Das war sehr unterschiedlich. Das einzige, was immer gleich war, war die Terminnot. Wie viele andere Regisseure auch, kam Herzog stets kurz vor Torschluß, wenn die Kinotermine schon gebucht waren, an und sagte: "Jetzt muß ganz schnell die Filmmusik gemacht werden." So waren das sehr intensive, weil unter hohem Druck entstandene Produktionen.

Andererseits kam er aber auch gelegentlich und sagte: "Florian, mach deine Kiste auf und spiel mir vor, was du an neuer Musik hast." Das war zum beispiel bei ‘Fitzcaraldo’ so. Die Musik wurde nicht speziell für den Film gemacht, sondern war bereits auf der Platte ‘Sei still, denn ich bin’ veröffentlicht worden. Herzog fischte sie aus meiner Kiste, hob den Zeigefinger und sagte: "Diese Musik will ich haben".

Die Arbeit mit Herzog war für mich immer interessant, weil ich in ihm einen außerordentlich schöpferischen Menschen mit enormen Arbeits-Ethos kennengelernt habe, der beim Drehen immer für eine Überraschung gut war.

Keyboards: Das Überraschungsmoment scheint ja auch für deine Arbeit recht wichtig zu sein. Vor knapp zwei Jahren lernten die eingefleischten Popol Vuh-fans eine ganz andere Seite an dir kennen, als du die CD ‘Florian Fricke plays Mozart’ mit richtigen klassischen, notengetreuen Interpretationen am Klavier herausgebracht hat.

Florian Fricke: Das war natürlich nichts Neues für mich, da ich ja schon als Jugendlicher klassisches Klavier studiert habe. Nachdem ich angefangen hatte selbst zu komponieren, habe ich mich mit Klassik nicht mehr beschäftigt. Doch irgendwie ist diese Liebe für die Klassik - vor allem für Mozart - unterschwellig immer in mir gewesen, auch wenn ich sie zeitweilig beiseite gedrängt habe. In den letzten 5 jahren habe ich mehr oder weiniger als Hobby immer Klavier gespielt und mich mit Mozarts Klaviersonaten beschäftigt. Mir selbst und meiner eigenen Seele tut Mozart wohl.

Es war dann so, daß verschiedene Leute diese Beschäftigung mit Mozart mitgekriegt haben und mich ermutigten, eine Platte mit Einspielungen der Mozartschen Klavier-Sonaten voranzutreiben. Dem habe ich mich mit großer Freude gestellt.

Ich habe diese CD als Mozartverehrer eingespielt, mit meinem eigenen Geschmack interpretiert, und ich möchte behaupten, daß sie auch ausgesprochenen Mozart-kenner aufhörchen läßt.

Keyboards: Möchtest du dich mit dieser CD als moderner Klassik-Interpret der Öffentlichkeit empfehlen?

Florian Fricke: Nein, durchaus nicht. Ich möchte das nicht zur Profession werden lassen. Es ist einfach nur eine weitere Facette meines Anspruchs an Musik. Ich kann auch nicht ganz von der hand weisen, daß meine Beschäftigungen im Pop-Bereich, oder dem, was man so nennte, mit der Ausrichtung auf Rhythmus, auf Swing, auf Groove, durchaus auch einen Einfluß auf die Art hatte, wie ich Mozart interpretiert habe. Ich denke, daß ich wesentlich rhythmischer gespielt habe, als das normalerweise klassische Pianisten tun.

Keyboards: Ende ‘91 hast du die Fangemeinde wiederum überrascht, als du die CD ‘For you and me’ rausgebracht hast. Darauf sind die mit Abstand poppigsten Aufnahmen, die es von Popol Vuh je gegeben hat. Und man höre und staune - da kommt auch nach langer Abstinenz wieder Elektronik zum Vorschein.

Florian Fricke: Die Aufnahmen entstanden zwischen januar und April 1991. Und wenn man sich erinnert, war damals der Krieg im Irak, und wir an der Aufnahmen Beteiligten ware nalle sehr betroffen während der Produktion.

Und die Frage kam auf: wie kann man Betroffenheit umsetzen im etwas, was dann nicht in bloßer Niedergeschlagenheit endet, sodnern aufbauend wirkt. Wir haben dann verschiedene Elemente außereuropäischer Musik mit der typischen Popol Vuh-Musik plus Elektronik gemischt. Dahinter stand die Idee, daß die Kriege im wesentlichen dadurch entstehen, daß sich die verschiedenen Kulturen nicht verstehen, die eine Kultur nicht die Eigenheiten der anderen akzeptiert. In den USA z.B. entstand damals, ein neues Feindbild von der ganzen islamisch-arabischer Kultur. und Musik, wie jede kulturelle Tätigkeit, hat die Möglichkeit, politisch zu wirken. Voraussetzung ist, daß sich der Musikmacher als ein Mitbetroffener in dieser Welt versteht.

Keyboards: Von der Ideologie zurück zur musikalischen Praxis. Wie wurde dieser ideologischen Überbau musikalisch umgesetzt?

Florian Fricke: Ich liebe afrikanische Rhyhtmen, ich liebe den einfachen Gesang von jemanden, der die Last auf einen Berg trägt, und ich liebe die uralte, auf Atlantis hinweisende Musik der irischen Harfe. Und so habe ich bei ‘For you and me’ versucht, Innen und Außen zu verbinden, die Idee und die Struktur dieser Verbindung. In der Instrumentierung haben wir typische Momente z.B. von arabischer Tanzmusik verwendet. Wir haben ein irisches Thema mit elektronischer Musik konfrontiert, oder wir haben bei einem Stück afrikanische Elemente und Rhythmen hinzugenommen.

Keyboards: Damit meinst du wohl das Titelstück ‘For you and me’.

Florian Fricke: Genau. Der Titel allein sagt schon, daß irgend etwas Verbindliches auch für das ‘You’ enthalten ist. Was nichts anders heißt, als das man dieses Lied mitsingen kann. Das ist sicher etwas Neues an der popol Vuh-Musik: Sie ist für den Hörer singbar geworden.

Keyboards: Auf ‘For you and me’ ist Elektronik mit Akustik gemischt. Ist das die Art, wie Elektronik für dich wieder interessant geworden ist?

Florian Fricke: Zunächst mal ist nicht Elektronik im lasten Sinne hinzugekommen, sondern elektronisch gesteuerte Sample-Sounds, die wiederum von normalen, akustischen Instrumenten abstammen. Da ist also nicht die typisch elektronische Kälte. Es ist vielmehr einfach das heute übliche Arbeitsverfahren bei der Musikproduktion.

Keyboards: Bei ‘For you and me’ hast du zum ersten mal mit dem Arrangeur, Gitaristen, Keyboarder und Studiobesitzer Guido Hieronymous zusammengeareitet?

Florian Fricke: Ja, er hat wesentlichen Anteil an der Entstehung der Musik. Guido hat meine Ideen und Vorstellungen vortrefflich umgesetzt, er ist für die Balance zwischen Akustik und Elektronik verantwortlich.

Keyboards: Die beiden anderen, Daniel Fichelscher und Renate Knaup sind ja schon seit langem mit Popol Vuh verbunden.

Florian Fricke: Daniel ist als Gitarist and percussion-mann seit rund 8 Jahren dabei, und Renate war die absolute Amon Düül-Sängerin. Schon während die Amon-Düül-Zei war Renate öfter als Gast mit im Studio, sie half mir bei der Aufnahmen am Mischpult. Später dann, als es Amon Düül nicht mehr gab, bot sie sich förmlich als Sängerin für Popol Vuh an.

Keyboards: Ein Mann, nämlich Frank Fiedler ist von Anfang an mit Popol Vuh verbunden, schon damals, als ihr im alten Pfarrhof von Peterskirchen so etwas wie eine Musikkommune wart, und jetzt - bei ‘For you and me’ als Mitproduzent.

Florian Fricke: Frank Fiedler ist immer dabei nicht als Musiker, sondern als jemand der - ich möchte jetzt nicht sagen: "wie Goethe und Eckermann" - über gewisse außermusikalische Fragen, die bei der Musikproduktion oft genau so wichtig sind, mit mir reden kann und mir dann im Studio auch manchmal hilft, da er wesentlich mehr von Technik versteht als ich.