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Source: Der Klang der Revolte, Schott, 2013, p.91-95
Author: Christoph Wagner

Traumklänge aus der Selbsterfahrungsmaschine

Florian Fricke (1944-2001), ein junger Pianist, der Frisch von der Hochschule kam, wohnte im oberbayerischen Miesbach in direkter Nachbarschaft zu Schoener und lernte so den neuen Klangapparat kennen. Fricke war von dem Gerät derart fasziniert, dass ihm seine wohlhabende Gattin eines der 60000 Mark teuren Geräte spendierte. In die Grundlagen weihte ihn Schoener ein. “Florian hatte einen Pianistenwettbewerb gewonnen und fühlte sich unter Druck, eine Pianistenkarriere einzuschlagen”, erzählt Frank Fiedler, Mitglied von Frickes Gruppe Popol Vuh. “Der rigide Klassikbetrieb stieß ihn ab. Im Aufbruch der 60er Jahre war er zum Hippie geworden, und da erschien der Synthesizer als das richtige Instrument, um auszubrechen und Grenzen zu sprengen”.

Fricke ließ sich von der neuen Klangmaschine in den Bann ziehen. Zeitweise beschäftigte er sich fast rund um die Uhr mit dem Gerät, das nur schwer in den Griff zu gekommen war. Es gab Hunderte von Knöpfen und Reglern. Mit einem Wust von Kabeln mussten die verschiedenen Module miteinander verbunden werden. Außer einem Blockschaltbild gab es keine Hilfsmittel. “Der Moog war schwer zu bedienen”, bekräftigt Frank Fiedler. “Da ich mich recht gut mit Elektronik auskannte, haben wird dann zu zweit gemacht. Ich habe die Einstellungen gemacht und Florian Fricke hat gespielt. Das war ein heikles Geschäft, weil das Instrument nicht stabil war und sich die Tonlagen dauernd veränderten. Außerdem musste man aufpassen, dass einem die Filter nicht in die Höhe entschwanden und dann nur noch ein Kratzen zu hören war. Es sollte ja gut klingen. Wir haben auf einen wohlklingenden Ton Wert gelegt.”

Die Komplexität, Launenhaftigkeit und Empfindlichkeit des Elektronik-Instruments erschwerte die Arbeit. Konzertauftritte waren nahezu unmöglich. Nur selten, etwa für eine Fernsehaufzeichnung für den WDR, spielte Popol Vuh ‘live’ auf dem Synthesizer. Die eigentlich kreative Arbeit geschah im Probenraum und folgte dem Prinzip von Versuch und Irrtum. “Einfache Einstellungen konnte man rekonstruieren und wiederholen, doch bei komplizierten Filterprozessen war das unmöglich”, erinnert sich Fiedler. Deshalb stand immer ein Tonbandgerät bereit, waren Mikrofone positioniert. “Sobald etwas Gutes kam – zack – haben wir auf ‘Aufnahme’gedrückt.”

Tonband um Tonband nahmen die beiden mit dem Bongo- und Tablaspieler Holger Trülzsch auf, der flinke Schlagmuster zu den ruhigen Melodiebögen und sprudelnden Tonkaskaden trommelte, die sich über dem elektronischen Grundton entfalteten. Aus diesen Tonbändern plus weiterer Zutaten im Studio wurde 1970 das Debütalbum Affenstunde von Popol Vuh gemischt. Fricke wollte einen Weg gehen, “wo unsere Fantasie unsere Realität wird.“ Auch bei der zweiten Veröffentlichung der Münchner Gruppe (Titel: In den Gärten Pharaos) ein Jahr später stand der große Moog im Zentrum, was Popol Vuh zur ersten Synthesizer-Gruppe der deutschen Rockszene machte.

In einem Manifest von 1971 hatte Fricke das ästhetische Selbstverständis der Gruppe umrissen und deutlich gemacht, dass er auf eine neuartige Klanglichkeit aus war, Sounds, wie man sie bis dahin nicht nicht gehört hatte. Mit viel Innerlichkeits-Pathos stilisierte er den Synthesizer zur großen Selbsterfahrungsmaschine: “Popol Vuh ist eine Musikgruppe, die mit dem Moog-synthesizer arbeitet, einem elektronischen Musikinstrument gigantischen Ausmaßes. Seit etwa fünf Jahren geistert die Moogmaschine in der Musikszene bizar rund nachäffend herum; wir haben gehört: Es fuhren Motorräder in einem Froschteich, Musik von Bach oder erfolgreiche Rockmusik wurde elektronisch reproduziert. Dinge, die wir schon gehört hatten, haben wir noch einmal gehört, mehr nicht. Was wir machen, hat damit nichts zu tun. Für uns ist der Moog-Synthesizer die Möglichkeiten, Klänge zu erzeugen, die wir noch nie gehört, immer nur geahnt haben – wir haben sie in uns herumgetragen. Wir finden sie in unserem Unbewusstsen, im Traum, wir finden sie beim Musikmachen. Wir suchen die nicht in der Maschine, sondern ins uns. Unsere Ohren führen uns dann zu dem Sound – und die Moog-Maschine macht da immer mit. Du kannst etwa sieben Milliarden verschiedene Klänge erzeugen und in jedem Klang manifestiert sich ein anderes Gefühl von dir. Die Musik, die man mit dem Moog machen kann, umfasst schlechthin die Empfindungsmöglichkeit des Menschen. So zeigt diese Arbeit einen ungeheuerlichen Weg: sich selbst zu erfahren. Du musst mit deiner Fantasie die Maschine kennenlernen, sonst begrenzt du die. Dann findest du den Klang, der dem von dir an dir wahrgenommen Gefühl, das du in Musik asdrücken willst, entspricht”.

Die Technik menschlicher machen

Der Synthesizer war umstritten. Bei vielen stieß das Gerät auf Ablehnung. Durch das erwachende Umweltbewusstsein, gekoppelt mit einer ‘Zurück zur Natur ‘- Sehnsucht, war technikkritischer Zeitgeist vor alle munter der jungen Generation verbreitet. Von einem einfachen, gesunden Leben auf dem Land wurde geträumt, fern von Luftverschmutzung und Konsumterror. Kapitalismus, Technik und Industrie, Konsum, Kommerz und Computer, Atomkraft und Großstadt wurde kritisch diskutiert. Der Begriff ‘Entfremdung‘ hatte Konjunktur. Der Synthesizer gehörte in diese Kategorie. Sein Klang galt als künstlich, leblos und kalt. In den seelenlosen synthetischen Sounds sah man das gefühlskalte Zeitalter einer alles beherrschenden technik heraufziehen. “Wir fanden den Synthesizer schlimm, weil wir das Mechanistsiche, Unmenschliche und Maschinelle ablehnten”, bringt Joachim Krebs von der Gruppe Checkpoint Charlie die Haltung auf den Punkt. `Synthesizer klar! Aber immer lebendig, immer humanisieren. Ich habe auf dem Mini-Moog Solos wie ein Gitarrist gespielt - das war okay`.

Florian Fricke trug den Konflikt in sich selber aus. So sehr ihn das Instrument seiner neuen Möglichkeiten auch faszinierte, hatte er dennoch ein zwiespältiges Verhältnis dazu. Er versuchte dem Dilemma dadurch zu entkommen, dass er sich bemühte, der Soundmaschine eine menschliche Qualität abzuringen. “Fricke kam vom Klavier her und das ist ein natürlicher Klang”, erklärt Frank Fiedler. “Wir strengen uns an, selbsterfundene Naturklänge zu machen, also den Synthesizer nicht so elektronisch klingen zu lassen. Wenn man nichts machte, blubberte die Kiste schnell recht synthetisch vor sich hin. Das war schwer erträglich. Auf dem Album In den Gärten Pharaos haben wir in einer Art versucht, eine sopranhafte Stimme nachzubilden. Es erforderte vielschichtige Filter, um dahin zu gelangen und aus der Elektronik ein bisschen herauszutreten.`

Florian Fricke spielte das Moog-Instrument 1972 als Gast auf dem Album Zeit von Tangerine Dream, bevor er die Elektronik fast vollständig aufgab und zum natürlichen Klang zurückkehrte. “Die elektronische Musik ist heute von ihren kommerziellen Verwertern zu sehr in den Bereich des LSD-Wahns gerückt worden. Als ich mit elektronischer Musik anfing, wurde in Deutschland so gut wie nichts von jüngeren Leuten auf diesem Gebiet getan”, begründete er seinen Schritt. “Danach kam eine wahre Flut an Elektronik im Rahmen dessen, was heute so weinig bescheiden ‘Kosmische Musik’ genannt wird. Da saß ich dann in dem großen wabernden Trog, dr mir so unendlich unsympathisch ist – da ich aus dieser technischen Musik meist nur Kosmos-Angst, nie Verbundenheit mit dem Kosmos heraushören konnte. Man kann wohl mit Elektronik zunächst mehr als mit anderen, natürlichen Klängen die Tiefe, das Unbewusste, das Zeitlose des Menschen erreichen. Das hat mich lange fasziniert. Ein schönerer und ehrlicher Weg scheint mir heute jedoch zu sein, sich selbst ohne technische Hilfsmittel zu reinigen und zu verinnerlichen, und dann mit einfacher, menschlicher Musik diese Räume des Dunkels oder Lichts im menschen anzurühren. “ Fricke zog einem Schlussstrich unter seine elektronische Phase und verkaufte seinen großen Moog an Klaus Schulze, um nur noch akustische Musik zu machen – mit dem gleichen frommen Pathos!