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Source: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2002-01-03
Author: Michael Grill

Das Horn Gottes

One Note Gospel: Zum Tod des Rockmusikers Florian Fricke

Aus jener Zeit, Anfang der siebziger Jahre, als die deutsche Rockmusik erstmals begann nach eigenen Formaten zu suchen, sind fast nur Mysterien geblieben. Die Musik von Can, Kraftwerk und Amon Düül geistert noch durch kleine Plattenläden für nostalgische Sound-Freaks, und ab und zu spielen Musiklehrer an den Gymnasium ihren Schülern etwas vor, was sie in ihrer eigenen Jugend für ‘progressiv’gehalten haben. Doch während Can sich immerhin neu remixen lassen, Kraftwerk der Expo 2000 ein klingendes Logo verpassten und Amon Düül immer wieder mal einen Anlauf zum Comeback versuchten, ist es zuletzt ganz besonders still gewesen um jene Formation, die man einst als Nummer 4 der sogenannten Krautrock-Bewegung führte: Popol Vuh, jenes ganz besonders schwer zu fassende, in München beheimate Phänomen um den gebürtigenen Lindauer Florian Fricke, hat nie den ganz großen und lauten Auftritt in der ersten Reihe gesucht. Gleichwohl sind Frickes Verdienste um die deutsche Rockmusik unbestreitbar.
Nach dem Musikstudium in Freiburg und München brachte er mit Unterstützung des Promoters Gerhard Augustin als ersten einen Apparat in die Welt der populären Musik, von dem es in ganz Europa damals nur einige weinige Exemplare gab, und den man so noch nie zuvor gehört hatte: den Moog-Synthesizer. Die ersten beiden Alben ‘Affenstunde’ und ‘In den Gärten Pharaos’ von 1970 und 1972 wurden zu Meilensteinen der deutschen Rockmusik. Fricke jedoch, der über sein Wunderding einmal sagte: “Die beinahe menschliche Intelligenz dieses Apparats hat mir manchmal auch Unbehagen bereitet”, wandte sich relativ schnell wieder vom rein elektronischen Klang-Experiment ab. Mit religös-sphärischen Alben zog er weiter auf seiner Suche nach Sinn im Klang, wanderte durch die Welt, studierte tibetanischen Gemeinschaftsgesang und wurde Mitglied der Atemtherapeutischen Gemeinschaft. Als besonders folgenreich erwies sich jedoch eine Begegnung mit dem Filmregisseur Werner Herzog, noch mitten in den ‘elektronischen’ Jahren. Herzog war geradezu verzweifelt auf der Suche nach einem Komponisten für die Musik zu ‘Aguirre der Zorn Gottes’ - und er fand Florian Fricke. Achtzehn Jahre lang blieben sie ein Team, unter anderem bei den Filmen ‘herz aus Glas’, ‘Nosferatu’, ‘Fitzcarraldo’ und ‘Cobra Verde’. Insgesamt veröffentichte Florian Fricke 23 Alben, kommerziellen Erfolg hatte er aber vor allem in Frankreich, Italien und Japan. Seine Musik war New Age, lange bevor es den Begriff dafür gegeben hat, und seine Experimentierfreude bereitete den Weg für viele andere, die man heute in den Regalen der CD-Kaufhäuser findet. 1991 veröffentlichte er eine Platte mit Klaviersonaten und erklärte seinen Weg von Moog zu Mozart: “Ich habe versucht, die Essenz aller Religionen in einer Note, einem Ton zu finden.” Am vergangenen Samstag ist Florian Fricke im Alter von siebenundfünfzig Jahren in München gestorben.